Unsere Theorien und Methoden müssen zum emanzipatorisch-aktivistischen Kontext passen, in dem wir tätig sind. Wir beziehen uns dabei auf die Kritische Psychologie und die Systemische Beratung und Therapie. Im Folgenden stellen wir beide Ansätze kurz vor.
Kritische Psychologie
Die Kritische Psychologie hat sich aus den Studierendenprotesten der 1960er und 1970er Jahre entwickelt und ist aus der Kritik der traditionellen, bürgerlichen Psychologie entstanden, wie sie heute an vielen Universitäten gelehrt wird. Sie begreift das Individuum nicht als isoliertes, sondern als gesellschaftliches Wesen. Darüber hinaus versteht sie die Gesellschaft als einen von den Individuen gemachten und damit veränderbaren Zusammenhang, der uns sowohl umgibt wie auch in uns ist.
In der traditionellen Psychologie werden gesellschaftliche Strukturen häufig als etwas Äußerliches betrachtet, mit dem das Individuum selbst erst einmal wenig zu tun hat. Dies zeigt sich in der Rede von der bloßen „Umwelt“, die auf das Individuum einwirke und dessen Verhalten hervorrufe. Die Kritische Psychologie nennt ein solches Narrativ Bedingtheitsdiskurs: Menschen werden als bloß „unter Bedingungen stehend“ gedacht. Psychologie bekommt also im traditionellen Ansatz die gesellschaftliche Funktion der Anpassung der Menschen an vorgeblich unveränderliche „Umwelten“. Das findet sich auch in Beratungs- und Therapiezielen wieder: Menschen mit psychischen Problemen sollen für Alltag und Arbeitsmarkt wieder fit gemacht werden.
In der Kritischen Psychologie hingegen wird das Individuum als Erzeuger*in der gesellschaftlichen Verhältnisse gesehen. Die Bedingungen sind dem Individuum zwar einerseits gegeben, gleichzeitig schafft und gestaltet es diese jedoch auch aktiv und bewusst. Eigene Absichten und bewusstes Handeln bilden keine Wenn-Dann-Kausalität wie in der traditionellen Psychologie, sondern einen Prämissen-Gründe-Zusammenhang. Prämissen sind all jene emotionalen, kognitiven und materiellen Voraussetzungen, über die ein Individuum verfügt, um handlungsfähig zu sein. Sie bilden das Fundament seines Handelns, denn aus Sicht der Kritischen Psychologie ist jedes menschliche Handeln begründet. Gespräche erfolgen daher stets im Begründungsdiskurs. Durch das Bewusstwerden der eigenen Prämissen und Gründe sind Individuen besser in der Lage, die eigene Handlungsfähigkeit emanzipatorisch zu gestalten und entwickeln.
Ein Beispiel zur Illustration: Wir können eine Person, welche „depressiv erkrankt“ ist, traditionspsychologisch betrachten und feststellen, dass diese ggf. zu wenig Ressourcen habe, ihr der Neurotransmitter Serotonin im Gehirn fehle oder sie „Mängel“ in ihrer sozialen Kompetenz aufweise. Mit kritisch-psychologischem Blick können wir mit der Person aber auch schauen, ob die momentanen gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns voneinander isolieren und uns Sachzwänge auferlegen (Lohnarbeit etc.), für die Person zu nachvollziehbaren Prämissen und guten Gründe führt, darauf mit „depressivem“ Rückzug zu reagieren – um anschließend mit ihr auch andere Handlungsmöglichkeiten zu erschließen.
Systemische Beratung und Therapie
„Systemisch“ bedeutet, Menschen nicht isoliert, sondern in sozialen Interaktionen mit anderen Menschen zu sehen. Insbesondere Dynamiken innerhalb der Familie, der Arbeitsgruppe oder bei Paaren stehen im Fokus der Aufmerksamkeit. Systemische Beratung und Therapie (oder kurz: Systemik) kann mit Gruppen wie auch mit Einzelpersonen erfolgen.
Die Systemik ist ressourcenorientiert und setzt den Fokus stärker auf das Ziel, das die Personen anstreben, und weniger auf das, was sie „stört“. Subjektiv als „störend“ empfundenes Verhalten wird eher vor dem Hintergrund betrachtet, inwiefern dieses Verhalten temporär seinen Sinn erfüllt und daher begründet ist – selbst, wenn es manchmal schwer aushaltbar erscheint. Dabei geht es darum, den persönlichen Möglichkeitsspielraum emanzipatorisch zu erweitern. Der Blick wird weniger auf die Vergangenheit als eher auf Gegenwart und Zukunft gerichtet.
Auch hier ein Beispiel zur Illustration: Wenn eine Person sich schlapp und energielos fühlt, sich als nicht mehr liebenswert betrachtet oder keinen Lebenssinn mehr verspürt, dann könnte diese Person aus konventioneller Sicht mit dem Attribut „depressiv“ versehen werden. Aus systemischer Sicht würden wir mit der Person z.B. schauen,
- was „depressiv“ überhaupt für sie bedeutet,
- wann sie sich so fühlt (und wann nicht),
- welche Personen dann in der Nähe sind (und welche nicht),
- wofür es gerade vielleicht auch gut sein kann, sich „depressiv“ zu fühlen,
- wie sie sich stattdessen fühlen möchte und wann ihr das schon gut gelingt
- und insbesondere, wie ggf. andere Personen (auch unbewusst) dazu beitragen könnten, das „depressive“ Verhalten zu stabilisieren.
Beratung und Therapie bedeuten in der Systemik nicht, dass Ratschläge gegeben werden und über Menschen und ihre Entscheidungen geurteilt wird, sondern es geht darum, dass die Menschen für sich selbst eine Idee entwickeln, wie sie ein Thema angehen wollen.
In einer klassischen Systemischen Beratung oder Therapie werden Themen wie Lebensfindung, berufliche Veränderungen, Gestaltung von Partner*innenschaften und Umgang mit bestimmten Gefühlen besprochen. Auch Gruppendynamiken können im Fokus sein. Beim Aktivistischen Sofa können Methoden wie Gruppenaufstellungen oder -skulpturen, Lebenslinien oder Stimmungslandkarten genutzt werden, die aus der Systemik stammen.